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regie: jürgen flügge
bühne und kostüme: harry hummel


PRESSE


Brigitte Naber, Nur bei ihren Auftritten entging sie der Einsamkeit

Saisonauftakt am Theater Baden-Baden: Jürgen Flügge inszeniert "Piaf"


Nur bei ihren Auftritten entging sie der Einsamkeit

Von BT-Mitarbeiterin Brigitte Naber

Es ist die Sternstunde der Angelika Hart. "Ich verbrauche alles auf der Bühne" lässt Autorin Pam Gems die Piaf zu Marlene Dietrich, ihrer einzigen Freundin sagen. Genau diesen Eindruck hinterlässt die Schauspielerin in dem knapp dreistündigen, emotional packenden Epos, mit dem das Theater Baden-Baden die Spielzeit eröffnete. Schlicht als Schauspiel mit Musik wird das 1978 entstandene Drama um das Leben der "an beiden Enden der "Kerze brennenden" Edith Piaf" bezeichnet, und an manchen Stellen der Text auch gewisse Längen aufweisen, wäre da nicht die energiegeladene und doch ansprechend sensible Angelika Hart, die mit einer unglaublichen Wandlungsfähigkeit beeindruckt. Als "Kraftwerk der Gefühle" wurde die Piaf bezeichnet, und so präsentiert sich auch ihre Interpretin. Sie besitzt nicht nur eitle bemerkenswerte Chansonstimme, sie hat sich die Seele der bekannten Lieder zu eigen genacht und überzeugt so nicht durch eine möglichst detailgetreue Kopie, sondern durch genau jenes künstlerische Feeling, das die Piaf zum Star machte. Gerade dieser individuelle Zugriff macht sie authentisch.

An das schier unermüdliche Gesangstalent der Hauptdarstelerin schließt sich nahtlos die Qualität der musikalischen Begleitung an. Hans Georg Wilhelm, neuer musikalischer Leiter des Theaters, präsentierte sich zusammen mit seinen Musikern (Harald Amberger, Helmut Bisazki, Hans-Jürgen Eisenburger, Daniel Schay) in Höchstform. Seine zeitgemäßen Arrangements halten dem Vergleich mit den Originalen stand.
Die Straße ist zunächst die Heimat der jungen Edith. Geborgenheit erfährt sie höchstens bei Foine (Katharina Müller, die auch als Marlene Dietrich überzeugt) im Bordell. Diese Jahre prägen sie. Auch für die berühmte Piaf ist das Proletariat keine Schande: Sie bleibt sich treu, ist unangepasst und unbequem und zeitlebens auf der Suche nach Liebe. Die wichtigsten Stationen ihrer Karriere und ihres Privatlebens werden beleuchtet: Svea Meiken Petersen, Peter Espeloer, Jan Reinartz, Frank Auerbach, Benedikt Florian Schörnig, Ingo Biermann und Christoph Lüdke übernehmen im fliegenden Wechsel die Rollen der Personen, die den Lebensweg des Stars beeinflusst haben. Da gibt es diverse gutaussehende Männer, stets jünger als die Sängerin. Da gibt es aber auch die große Liebe Marcel, dessen tragischen Tod sie auch mit der überwältigenden "Hymne a l'amour" nicht überwinden kann. Sie macht es den Menschen schwer, ihre nahe zu kommen, obwohl sie sich genau danach sehnt, denn der "weiteste Weg" ist der zum Mikrofon, und wenn sie gut gesungen hat, ist es noch schlimmer, sie will überhaupt nicht mehr von der Bühne weg, "denn dann ist man ja wieder allein". Angelika Hart ist durchgehend auf der Bühne präsent und wandelt sich ohne Unterlass. Sie ist der junge, kesse Spatz, der sich über ein bisschen Geld freuen kann und wird in Sekundenschnelle zur einsamen, morphiumsüchtigen und für die Umgebung unerträglichen Diva, die auf der Bühne um ihr Leben singt. Geradezu genial ist das Bühnenkonzept Harry Hummels: Die Musik bestimmt das Leben der Piaf, und der pulsierende Chansonrhythmus findet sich in der Ausnutzung der Drehbühne wieder. Auch die Bilder entwickeln sich mit ihrem Lebenslauf: Einsamkeit wir projiziert, Trennwände stehen zwischen Edith und ihrem Lebenssinn, der Bühne. Regisseur Jürgen Flügge ist mit viel Feingefühl zu Werke gegangen: Hier wird kein Rührstück einer alternden Diva aufgerollt, vielmehr gelingt es ihm, die Einzigartigkeit der Piaf als Symbol verständlich zu machen. Man kann sich dem Bann dieser Aufführung nicht entziehen. Um so enttäuschender, dass dieser überwältigende Saisonbeginn vom Premierenpublikum zwar mit anhaltendem Applaus bedacht wurde, die Beifallskundgebungen der Leistung aber in keiner Weise gerecht wurden.